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"MEIN KNAST IST KEIN HOTEL“


Er nennt sich den "härtesten Sheriff Amerikas": Seit über 20 Jahren regiert Joe Arpaio in Phoenix, Arizona, mit eiserner Faust, rosafarbener Unterwäsche für Häftlinge und Chaingangs. Ein Besuch in seinem berüchtigten Zeltknast "Tent City".
 

Erschienen im MAGAZIN der BERLINER ZEITUNG 

 

 

Der Weg zum Zeltknast des Sheriff Arpaio führt durch eine angemessen trostlose Gegend am südlichen Stadtrand von Phoenix: kahle Betriebshöfe, Schrottplätze, eingezäunte Brachgelände, in deren Stacheldraht sich alte Plastiktüten und Zeitungen verfangen. Wenige Kilometer, bevor die 27th Avenue an den Ausläufern der South Mountains endet, kreuzt die Durango Street, und einen Steinwurf weiter erstreckt sich nach Westen der Estrella Jail Komplex – der Jugendvollzug, die Untersuchungshaftanstalt und die berüchtigte Gefängnis-Zeltstadt in der Wüste Arizonas: Tent City.

Hinter einer doppelten Stahltürschleuse beginnt das betonierte Labyrinth des Frauentrakts. Eine Wachbeamtin in erdbrauner Uniform führt durch die Gänge zum Aufenthaltsraum: eine gekachelte Halle mit festgeschraubten Tischen und Hockern und der Heimeligkeit einer Waschküche. An der Stirnseite der Ausgang auf den Hof - zu den Zelten, in denen derzeit 1805 Häftlinge ihre Strafe absitzen, davon 310 Frauen.

Umzingelt von vier Meter hohen Drahtzäunen lagern die Sträflinge dösend, lesend oder palavernd auf schmalen Pritschen, 20 oder 40 unter einer Plane. Shampoo, Bücher und sonstige Habseligkeiten klemmen am Kopfrand leerer Pritschen: Eine Wohltätigkeitsveranstaltung hat Freiwillige unter den Frauen auf einen zeltfreien Schotterplatz inmitten der Drahtzäune gelockt, wo eine Friseurkette zugunsten krebskranker Kinder in Florida Sträflingshaare schneidet. Gleich hinter dem improvisierten Frisiersalon, einem offenen Zelt, ragt der Zaun zum Männergelände empor.

Mitten auf dem Hof steht ein kleiner drahtiger Mann im dunklen Sakko neben einer Frau in schwarzweiß gestreifter Sträflingskleidung. Seine Krawattennadel ist eine goldene Pistole. Dies ist der Mann, der all das hier erfunden hat, der sich selbst als „härtesten Sheriff Amerikas“ bezeichnet und der eine erstaunliche Popularität in Arizona genießt.

 

„Brauchst Du ein Autogramm? Hier, komm her!“ Sheriff Joe zieht einen Stift aus der Sakko-Innentasche und kritzelt der Frau seine Unterschrift auf eine Postkarte. Im Schwenkbereich eines Kameramanns, der für eine lokale TV-Station die Krebskinder-Aktion filmt, mimt Arpaio den Star. Die Gefangene bedankt sich artig und schlurft in blassroten Plastiklatschen und in pinken Wollsocken zurück zu ihrem Zelt.

„Wer nach Hause schreiben will“, sagt Arpaio und deutet mit dem Daumen über die Schulter nach der Insassin, „der muss das auf so einer Karte tun. Auf jeder bin ich drauf.“

 

Die Karte zeigt ihn mit in die Hüften gestemmten Händen vor einem betroffen dreinblickenden Hünen in pinken Unterhosen. Auf einem Schild daneben steht: Tent City heute: harte Arbeit, kurze Haare, 35-Cent-Mahlzeiten, Bildungsfernsehen, rosa Unterwäsche, 50 Grad im Schatten. Kein Kaffee, keine Zigaretten, keine Filme, keine Mädchenmagazine. If you don´t wanna do the time, don´t do the crime - wenn du keine Zeit hier verbringen willst, brich das Gesetz nicht.

 

Die Karte ist kein Witz. Arpaios Häftlinge tragen rosa drunter, seit vor sechs Jahren ein Versuch aufflog, weiße Gefängnis-Unterwäsche hinauszuschmuggeln. „Warum pink?“, fragt Arpaio. „Weil sie pink hassen! Warum sollte ich ihnen etwas geben, das sie mögen?“ Der Sheriff versucht, den Insassen das Leben so schwer wie möglich zu machen - sie sollen nie wieder hierher wollen. In Tent City gibt es nur zwei Mahlzeiten am Tag: pappige Weißbrot-Sandwiches mit Keksen, einer Pflaume und einem halben Liter Magermilch am Vormittag, Eintopf und Kartoffeln am Abend. Fernsehen ist auf politische Sendungen und den Wetterkanal beschränkt, Zigaretten und Kaffee sind verboten. Männer haben sich täglich glatt zu rasieren die Haare so zu schneiden, dass Ohren und Kragen frei liegen, für Frauen sind Zöpfe oder Dutts Pflicht. Schimpfwörter, Flüche und Gossensprache stehen unter Strafe, die Wärter sind mit „Sir“ und „Ma´am“ anzusprechen. Es gilt, sich im eigenen Zelt aufzuhalten, der klimatisierte Tagesraum ist auf kürzester Strecke anzusteuern. Wer gegen die Wachbeamten aufmuckt, wird auf Wasser und „Brot“ gesetzt, ein hinreichend nahrhaftes Getreidegemisch. Wer die Regeln bricht, riskiert die Bestrafung seines ganzen Zelt-Kollektivs, gröbere Verstöße wie Rangeleien oder Zigarettenschmuggel haben den „Lockdown“ zur Folge: 23-stündiger Verschluss täglich mit drei Mithäftlingen in einer winzigen Zelle.

 

„Ich vermute, Sie servieren Ihren Strafgefangenen in Deutschland Sardellen-Pizza und Steaks. Nun, mein Gefängnis ist kein Hotel“, sagt Joe Arpaio. „Sehen Sie das dort?“ Er deutet auf ein Schild, das über den Zelten und Zäunen in den wolkenlosen Himmel ragt: „Vacancy“ blinkt dort in roter Neonschrift. Hier sind noch Plätzchen frei.

 

Sheriff Joes Hotel ist denkbar unkomfortabel. In der sengenden Hitze - mit 35 Grad ist es für einen Spätsommertag heute angenehm kühl - bleibt den Häftlingen nur, die Zeltwände zur Ventilation aufzurollen, auch wenn es dann stinkt: Tent City liegt direkt an einer Müllkippe, daher war das Land umsonst. Magere 120 000 Dollar habe der Zeltknast gekostet,  berichtet Arpaio stolz.

 

Er blickt besorgt auf: „Ist Ihnen die Sonne zuviel?“ Die Frage ist keine Gentleman-Manier. Arpaio steht absichtlich mitten auf dem sonnengepeitschten Schotter zwischen den Zelten, um seinen Gegenüber die Hitze spüren zu lassen. Er verkauft seinen Knast gern noch härter, als er eh schon ist:  „Im Sommer herrschen hier 55 Grad im Schatten, in den Zelten wahrscheinlich noch mehr.“ Tatsächlich lag die Rekordtemperatur in diesem Jahr bei 47 Grad Celsius.

 

Die Sträflinge selbst finden die Zelte weniger schlimm als die entsetzten Kritiker außerhalb der Drahtzäune. Sagen sie zumindest in Hörweite der Beamten. David, 23, ein drahtiger kleiner Hispanier, der für das Gespräch von einem grimmigen jungen Wachmann handverlesen und auf den Frisierhof geholt wurde, sagt: „Ich bin gern hier draußen. Hier hat man das Gefühl, freier zu sein, und man ist an der frischen Luft. Im Sommer ist es schon sehr heiß, aber als Straßenbauer bin ich die Hitze gewohnt.“ David hat nach Bewährungsverstoß nach einer Überfall-Verurteilung acht Monate in Tent City bekommen. Zwei Meter weiter streift Maureen, 36 und wegen Fahrens unter Marihuana-Einfluss hier, ihr Frisiercape ab. Sie findet: „Alles ist besser als mit einem halben Dutzend anderer in eine Zelle gesperrt zu sein“. Und Jamie, 27, die an einem Holztisch im Frisierzelt mit anderen Cracker gegen Käsescheiben tauscht, sagt: “Ich weiß nicht, ob man Ihnen das erzählt hat, aber wir haben ja den klimatisierten Tagesraum, und sie versorgen uns mit kaltem Wasser. Das einzige, was wirklich hart ist, sind die zwei Mahlzeiten am Tag.“ Auch Jamie ist Bewährungssünderin, nach einer Verurteilung wegen Autodiebstahls, und sitzt sechs Monate ein.

Es gibt in Tent City einen überteuerten Gefängnismarkt, in dem die Insassen Süßigkeiten, Hamburger oder Kosmetika bestellen können. Bis vor kurzem mussten sie dazu allerdings erstmal dreißig Dollar an den Knast bezahlen – seit 1998 stellte Arpaio den Häftlingen ihren Aufenthalt mit einem Dollar pro Tag in Rechnung. „Müssen Sie etwa nicht für Essen und Wohnen bezahlen?“, fragt er. „Na bitte. Warum sollten die Häftlinge das von den Steuerzahlern geschenkt bekommen?“

Doch vor einem Monat musste er seine A-Dollar-A Day-Politik stoppen. „Ist ja auch unfair“, sagt Arpaio nüchtern, „wo uns die Mahlzeiten bloß 40 Cent am Tag kosten. Es ist schon Abzocke, die 60 Cent Profit zu kassieren.“ Dafür hat er freilich gleich eine andere Maßnahme verschärft: selbst beantragte Arztbesuche kosten jetzt zehn Dollar statt vorher drei.

 

Mehrfach klagten Häftlinge gegen Arpaio, weil sie sich in Tent City ihrer Rechte beraubt sahen. Einige Klagen sind bis vor das Oberste Bundesgericht gelangt. „Als ich ihnen die Pornomagazine wegnahm“, sagt Arpaio, „sind sie bis ganz nach oben gegangen – ich gewann. Als ich ihnen den Kaffee strich, sind sie vor Gericht gezogen – ich gewann.“ Das FBI, der Bundesgerichtshof und Amnesty International haben Untersuchungen in den Gefängnissen von Joe Arpaio geführt, gestoppt hat ihn bisher niemand.

 

„Won that case“, sagt Arpaio, als würde er einen Hammer schwingen. Es klingt wie der selbstverständliche Triumph des Helden aus einem alten Western, in dem die Rigorosität von Recht und Gesetz eine Siedler-Gesellschaft im Entstehen spiegelt. Aber Phoenix im einstigen Pistolero-Herzland der südwestlichen USA ist beinahe 140 Jahre alt. Und Joseph M. Arpaio stammt ursprünglich aus Neuengland. Er spricht mit schwerem New Yorker Akzent und ist erst in zweiter Generation Amerikaner – der Sohn italienischer Einwanderer, „legaler Immigranten“, wie er betont. Seine Mutter starb bei der Geburt, der Vater führte ein italienisches Lebensmittelgeschäft, und der kleine Joseph wollte schon als Knirps Polizist werden.

Nach dem High-School-Abschluss meldete er sich zur Armee und begann danach eine Karriere als Drogencop in Washington und Chicago. Später führte er verdeckte Operationen in der Türkei und in Mexiko. Nach 27 Jahren bei der US-Drogenbehörde DEA quittierte er 1982 den Dienst und stieg im Reisebüro seiner Frau ein. 1992 zog es ihn zurück zur Strafverfolgung: Er ließ sich zum Sheriff wählen. Derzeit läuft seine dritte Amtsperiode, die Wiederwahl steht im kommenden September an.

 

Der markige kleine Italo-Amerikaner ist nicht das sadistische Monster, als das die Medien ihn gern sehen, kein moderner John Wayne, der er wohl selbst gern wäre. Er ist bloß ein etwas verschrobener älterer Herr, der sich mit lapidarem Pragmatismus vor der Komplexität des Lebens schützt. Einer, der seinen Job verdammt wörtlich nimmt: law enforcement, der kernige amerikanische Ausdruck für Strafverfolgung.

 

Wie ein kleiner König regiert Arpaio den Bezirk Maricopa, mit 3,2 Millionen Einwohnern nach Los Angeles und Chicagos Cook County der drittgrößte Sheriffsbezirk in den USA. „Ich bin niemandem verantwortlich“, sagt er mit Nachdruck, „keinem Gouverneur, keinem Politiker. Kennen Sie das Lied von Frank Sinatra? I Did It My Way. Mein Lieblingslied. Ich habe keinen Boss. Ich mache die Dinge, wie ich es will, und wenn das den Leuten in meinem Bezirk nicht mehr gefällt, bin ich eben weg vom Fenster.“ Den Leuten gefällt es. Bis zu 80 Prozent Zustimmung kann Arpaio unter seinen Wählern verzeichnen, weil er das Problem der Kriminalität auf ein überschaubares System von Verstoß und Vergeltung reduziert. Sheriff Joe vermittelt den Eindruck, als sei er Herr der Lage. Dabei hat er das Problem nur aus dem Blickfeld verwaltet.

 

In Tent City sitzen nichtgewalttätige „Bagatelltäter“, die zu unter einem Jahr Haft verurteilt sind. Dank einer inhaftierungswütigen Gesetzgebung ächzt das konservative Arizona unter einer Gefängnisinsassen-Zuwachsrate, die das Siebenfache des Bevölkerungswachstums beträgt. „Drogenabhängige, betrunkene Autofahrer, Bewährungssünder verstopfen unsere Gefängnisse“, klagt die Tageszeitung „Arizona Republic“ und zitiert den Justizprofessor John Hepburn: „Wir sperren immer mehr Leute immer länger ein, bei immer weniger Rehabilitationsangeboten.“

Zwar gibt es in den Zelten ein erfolgreiches Drogenprogramm namens Alpha, es gibt eine gefängnisinterne High School, an der Häftlinge ihren Schulabschluss nachholen können. Es gibt Eltern-Lehrgänge und Vorlese-Aktionen, in denen Insassen Geschichten auf Kassette lesen und zu ihren Kindern heim schicken. Aber nach Ende der Haft werden sie einfach auf die Straße gespuckt.

Jamie sagt: „Hier drin fühlen sich viele fast sicher, weil sie nicht mehr raus auf die Straße müssen, um Drogen zu organisieren und so. Und wenn man dann heimgehen kann, haben manche fast Angst davor.“

 

Sheriff Joe ist das egal. Er betont gern, dass in seinen Gefängnissen 3500 mehr Menschen sitzen, als Platz haben. „Wenn mir jemand vorwirft, dass nirgends die Gefängnisse so voll sind, wie bei uns, antworte ich: Weil ihr die Leute nicht schnappt! Ich mache hier nur meinen Job“, sagt er. „Und ich mache ihn gut.“

Im vergangenen Jahr zählte Arpaio zu den aussichtsreichsten Kandidaten für die Gouverneurswahl. Doch er trat nicht an. „Ich bin Kämpfer an der vordersten Front“, sagt er. „Hier gehöre ich hin, und hier bleibe ich.“ Im Juni ist der taffe Sheriff 71 geworden.

 

 

 

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